Ansprache von Gretel Bluhm-Janssen, Ehrenvorsitzende der Hospiz-Initiative Leer
Ansprache zur "Kofferausstellung" anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Hospizinitiative Leer

Liebe Gäste, liebe Hospizler,

schön, dass Sie alle da sind. Sie, die Sie unsere Arbeit all die vielen Jahre interessiert und unterstützend begleitet haben.

20 Jahre Hospizinitiative Leer!    Wo ist bloß die Zeit geblieben?

Ja - wirklich, wo ist sie geblieben, die Zeit?    Was ist mit ihr passiert?

Nun, ich kann es Ihnen verraten: Wir haben sie verschenkt! Wir haben die Zeit verschenkt, einfach so.

Wir haben sie verschenkt an Menschen, die beladen und belastet waren, an Menschen in ihrer letzten Lebensphase; wir haben die Zeit verschenkt an Menschen, die in Trauer waren, verschenkt an Angehörige, die hilflos waren; wir haben die Zeit verschenkt an Eltern, die ein Kind hergeben mussten und verzweifelt waren; wir haben sie verschenkt an Kinder und Jugendliche, die selber krank und hoffnungslos waren und wir haben sie verschenkt an Kinder und Jugendliche, die ein Elternteil verloren haben, die ohne Vater oder Mutter ihren Weg durchs Leben neu finden mussten.

Ja - in der Tat - wir haben 20 Jahre lang Zeit verschenkt!

Eine Zeit des Zuwendens, eine Zeit der bedingungslosen Wertschätzung in dem Sinne - du darfst sein, der du bist; sein, wie du bist; du bist wert, ohne etwas leisten zu müssen - eine Zeit der bedingungslosen Wertschätzung.

Und eine Zeit des Zuhörens, ja - eine Zeit der Zärtlichkeit, denn das Hören ist eine Grundform von Zärtlichkeit, d.h. sich ganz auf den anderen einstellen mit großer Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, hören wollen, was ihn bewegt - Zuhören - eine Zeit der Zärtlichkeit.

Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass einige Menschen manchmal erst in der letzten Lebensphase diese absolute Geborgenheit und bedingungslose Wertschätzung erfahren dürfen. Das macht ein bisschen traurig, denn wir alle wissen, wie sehr eigentlich jeder von uns diese Sicherheit und bedingungslose Annahme im Leben braucht, braucht zum Werden und Wachsen.

Wie sehr diese hospizlich gelebte und geschenkte Zeit Menschen wohltut, mag ein Beispiel verdeutlichen: Einen 50jährigen Mann, der schon ein paar Wochen bei uns im stationären Hospizhuus lag, fragte ich, als ich ihn auf dem Flur traf: "Wie geht es Ihnen heute?" Er antwortete auf plattdeutsch: "Wes watt Leev, ik bruk egentlich gor nich mehr dood, ik bün ja all in Himmel."

Eines der berührendsten Aussagen eines todkranken Mannes im Hospiz.

Also, jetzt wissen Sie wo die 20 Jahre Zeit geblieben sind?

Sie steckt in fast 150 000 ehrenamtlich geschenkten Zeitstunden. Würde man diese in Geld umrechnen, käme man auf einige Millionen Euro. 150 000 Stunden, die man nicht kaufen kann, die man auch nicht bezahlen kann, die man nur geschenkt bekommen kann.

20 Jahre Hospizinitiative Leer, das hieß und heißt immer noch: ganz viel Herzblut, heißt Übernahme von Verantwortung, heißt harte Arbeit, heißt engagiert gelebtes Ehrenamt, heißt gemeinsames Tun und heißt kreative und konsequente Weiterentwicklung.

In einem Ergebnis dieser Entwicklung sitzen wir gerade, hier im Haus für die ambulante Hospiz- u Trauerarbeit. Und wenn wir aus dem Fenster schauen, sehen wir ein weiteres Ergebnis unserer Arbeit, nämlich das Hospizhuus, unsere stationäre Einrichtung.

Neben diesen drei Säulen unserer Arbeit: 1. Säule, die ambulante Sterbebegleitung Zuhause, da wo die Menschen am liebsten sind, 2. Säule, die stationäre Hospizarbeit in unserem Hospizhuus, 3. Säule, die Trauerarbeit, die mittlerweile einen ganz großen Raum einnimmt, realisieren wir hier und heute zusammen mit Ihnen die 4. Säule unserer Arbeit, nämlich die Öffentlichkeitsarbeit, d.h.: wir machen das Thema Sterben, Tod und Trauer zum Thema, holen es aus der Tabuzone heraus, heben es in unser Bewusstsein, damit ein Sterben in Würde eines Tages überall wieder mehr möglich ist und wird und nicht nur da, wo Hospiz ist.

Sie, die Kofferpacker unter uns, haben sich in beeindruckender Weise auf das Thema Sterben und Tod eingelassen und dafür schon mal an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön. Wir werden im Laufe des Nachmittags noch viel davon sehen und hören.

Seit November letzten Jahres gibt es sogar noch eine 5. Säule der Hospizarbeit im Landkreis Leer. Und zwar haben wir einen ambulanten Pflegedienst gegründet, der schwerkranke Menschen palliativpflegerisch Zuhause versorgt.

Damit ist unser Angebot eigentlich komplett, aber ein paar Ideen hätte ich schon noch. 😉

Lassen sie mich zum Abschluss auf die Zeit zurückkommen.

Ja! Wir haben in den letzten 20 Jahren viel Zeit verschenkt, Zeit unseres Lebens. Haben sie anderen geschenkt und sind darüber älter geworden. Die Zeit verrinnt - und mit ihr unsere Lebenszeit.

Es wäre schön, wenn wir die verrinnende Zeit nicht als etwas sehen würden, was uns verbraucht oder zerstört, sondern als etwas, dass uns vollendet.

20 Jahre verschenkte Zeit, für uns Hospizler eine privilegierte Zeit, eine bereichernde Zeit, eine intensive Lebenszeit.

Meine Damen und Herren, diese Zeit zu schenken war uns eine Ehre!

Gretel Bluhm-Janssen
www.hospiz-initiative-leer.de Hospiz-Initiative Leer e.V.; Mörkenstraße 14 b; 26789 Leer
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